Nachhaltigkeit im Einkauf: ESG-Ziele & Beschaffung optimieren
1. Definition: Was ist Nachhaltigkeit im Einkauf?

Es geht darum, das traditionelle „Magische Dreieck“ des Einkaufs (Kosten, Qualität, Zeit) um eine vierte Dimension zu erweitern: Nachhaltigkeit. Dies bedeutet konkret, dass Entscheidungen unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus getroffen werden – von der Rohstoffgewinnung über die Produktion und Logistik bis hin zur Entsorgung oder dem Recycling. Ein nachhaltiger Einkauf vermeidet negative Auswirkungen (z.B. Umweltverschmutzung, Menschenrechtsverletzungen) und fördert positive Effekte (z.B. lokale Wertschöpfung, Ressourceneffizienz).
2. Die zentrale Rolle des Einkaufs für Ihre ESG-Ziele
Der Einkauf ist das Bindeglied zwischen Ihrem Unternehmen und den globalen Märkten. Da oft bis zu 80 % der Wertschöpfung extern bei Lieferanten stattfindet, entstehen genau dort auch die größten Hebelwirkungen für Ihre Nachhaltigkeitsbilanz. Studien belegen regelmäßig, dass der Großteil der Unternehmensemissionen (Scope 3) in der Lieferkette liegt.
„Der größte Hebel für eine nachhaltigere Wirtschaft liegt nicht in der Produktion, sondern in der Auswahl dessen, was wir einkaufen.“
Indem Sie Ihre Beschaffungsprozesse optimieren, steuern Sie direkt die Einhaltung Ihrer ESG-Ziele. Ein proaktiver Einkauf ermöglicht es Ihnen:
- Regulatorische Compliance sicherzustellen (z.B. Einhaltung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes – LkSG).
- Versorgungsrisiken zu minimieren, da nachhaltige Lieferanten oft resilienter gegenüber Krisen sind.
- Markenreputation zu schützen und “Greenwashing”-Vorwürfe zu vermeiden.
- Kapitalkosten zu senken, da Banken und Investoren ESG-Risiken zunehmend in ihre Bewertungen einpreisen.
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3. ESG-Kriterien: Mehr als nur Umwelt
Die Abkürzung ESG steht für drei fundamentale Säulen, die im Einkauf ganzheitlich betrachtet werden müssen:
E: Environmental (Umwelt)
Hier geht es um den ökologischen Fußabdruck der beschafften Güter. Der Einkauf ist der Gatekeeper für grüne Innovationen.
- Beispiele für Beschaffungsmaßnahmen: Einkauf von Grünstrom, Bevorzugung von Materialien aus der Kreislaufwirtschaft (Recyclinganteil), Vorgaben zur Reduktion von Verpackungsmüll, Auswahl von Logistikdienstleistern mit E-Flotten.
S: Social (Soziales)
Der Faktor Mensch steht hier im Mittelpunkt. Unternehmen haften moralisch und oft auch rechtlich für die Bedingungen, unter denen ihre Produkte hergestellt werden.
- Beispiele für Beschaffungsmaßnahmen: Durchsetzung der Kernarbeitsnormen der ILO, striktes Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, Audits zur Arbeitssicherheit, Förderung von “Diversity Supplier”-Programmen.
G: Governance (Unternehmensführung)
Governance bildet das Fundament für vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen und verhindert Korruption und Misswirtschaft in der Lieferkette.
- Beispiele für Beschaffungsmaßnahmen: Verbindliche Supplier Code of Conducts, Transparenz über Eigentümerstrukturen, Whistleblower-Systeme für Lieferanten, Einhaltung von Steuergesetzen.
4. Roadmap: In 6 Schritten zu optimierten, nachhaltigen Beschaffungsprozessen
Die Transformation hin zu “Green Procurement” ist kein Sprint, sondern ein strukturierter Prozess.
Schritt 1: Nachhaltigkeitsziele definieren und verankern
- Abstimmung: Übersetzen Sie die Unternehmensstrategie in konkrete Einkaufsziele (z.B. “Reduktion der Scope-3-Emissionen um 20% bis 2026”).
- Warengruppen-Analyse: Identifizieren Sie “Hotspots” – Warengruppen mit hohem Volumen und hohem Nachhaltigkeitsrisiko.
- Commitment: Sichern Sie sich das Buy-In der Geschäftsführung; Nachhaltigkeit darf kein “Nice-to-have” sein, sondern muss Bewertungskriterium werden.
Schritt 2: Transparenz schaffen und Risiken bewerten
- Transparenz: Nutzen Sie Technologie, um über Tier-1-Lieferanten hinauszublicken (Multi-Tier-Visibility).
- Risikoanalyse: Segmentieren Sie Lieferanten nach ESG-Risiken (Länderrisiko + Branchenrisiko).
- Datenmanagement: Zentralisieren Sie Zertifikate und Audit-Ergebnisse in einer Datenbank, um Doppelarbeit zu vermeiden.
Schritt 3: Nachhaltigkeitskriterien in die Lieferantenauswahl integrieren
- Ausschreibungen: Integrieren Sie ESG-Fragen fest in jeden RfI/RfP. Definieren Sie K.O.-Kriterien (z.B. fehlender Code of Conduct).
- TCO zu TCI: Entwickeln Sie Ihr Kostenverständnis von Total Cost of Ownership (TCO) hin zu Total Cost of Impact (TCI), indem Sie externe Kosten (CO2-Preis, Reputationsrisiko) einkalkulieren.
Schritt 4: Verträge und KPIs anpassen
- Rechtssicherheit: Nehmen Sie Klauseln zum LkSG und zur Mitwirkungspflicht bei Audits in die Rahmenverträge auf.
- Incentivierung: Vereinbaren Sie Bonus-Malus-Regelungen, die an die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen geknüpft sind.
Schritt 5: Zusammenarbeit fördern (Supplier Development)
- Befähigung: Nicht jeder Lieferant ist sofort perfekt. Starten Sie Entwicklungsprogramme für strategische Partner, um deren ESG-Leistung zu steigern.
- Kooperation: Nutzen Sie Brancheninitiativen (z.B. Together for Sustainability), um Standards zu harmonisieren und Audit-Kosten zu teilen.
Schritt 6: Messen, Berichten und stetig optimieren
- KPI-Dashboard: Messen Sie nicht nur Aktivitäten (z.B. “Anzahl versendeter Fragebögen”), sondern Ergebnisse (z.B. “CO2-Einsparung in Tonnen”).
- Reporting: Nutzen Sie die Daten für vorgeschriebene Berichte (CSRD) und das Marketing.
5. Deep Dive: Scope 3 – Die Königsdisziplin der Dekarbonisierung
Während Scope 1 (eigene Emissionen) und Scope 2 (Energiebezug) oft intern kontrollierbar sind, stellt Scope 3 (indirekte Emissionen in der Wertschöpfungskette) die größte Herausforderung für den Einkauf dar. In vielen Branchen macht dieser Bereich über 90 % der Gesamtemissionen aus.
„Transparenz ist die neue Währung: Ohne verlässliche Daten aus der Lieferkette bleibt jede Klimastrategie reine Theorie.“
Um hier echte Fortschritte zu erzielen, müssen Einkäufer drei Reifegrade der Datenqualität durchlaufen:
- Phase 1: Spend-Based Analysis (Ausgabenbasiert)
Zu Beginn werden Emissionswerte basierend auf dem Einkaufsvolumen (in Euro) und Durchschnittswerten der Branche geschätzt. Dies zeigt Hotspots auf, ist aber zu ungenau für echte Steuerung. - Phase 2: Hybrid-Ansatz
Sie beginnen, für kritische Warengruppen (Hotspots) spezifischere Daten zu nutzen, beispielsweise Durchschnittswerte für bestimmte Materialgewichte (z.B. “X Tonnen Stahl”) statt nur Preise. - Phase 3: Supplier-Specific Data (Lieferantenspezifisch)
Dies ist das Ziel. Sie erhalten Primärdaten von Ihren Lieferanten (Product Carbon Footprints). Nur so werden Verbesserungen beim Lieferanten (z.B. Nutzung von Solarenergie in dessen Produktion) in Ihrer eigenen Bilanz sichtbar.
Strategischer Tipp: Fordern Sie von Ihren Top-Lieferanten keine Ad-hoc-Excel-Tabellen, sondern die Nutzung anerkannter Plattformen (wie CDP oder EcoVadis) zum Datenaustausch. Setzen Sie Dekarbonisierungsziele als festen Bestandteil der Jahresgespräche an.
6. Fazit: Nachhaltiger Einkauf als Wettbewerbsvorteil
Nachhaltigkeit im Einkauf ist der entscheidende Hebel, um die Transformation Ihres Unternehmens erfolgreich zu gestalten. Durch die systematische Integration von ESG-Kriterien in optimierte Beschaffungsprozesse erreichen Sie nicht nur Ihre Compliance-Ziele, sondern verwandeln eine vermeintliche Pflichtübung in einen strategischen Vorteil: Sie schaffen resilientere Lieferketten, senken langfristige Risiken und positionieren Ihr Unternehmen als verantwortungsvollen Marktteilnehmer. Nachhaltigkeit ist somit kein Kostenfaktor, sondern eine Investition in die Zukunftsfähigkeit Ihres Unternehmens.
7. FAQ – Häufig gestellte Fragen zu Nachhaltigkeit im Einkauf
Was versteht man unter Sustainable Procurement?
Sustainable Procurement (Nachhaltige Beschaffung) ist die Integration von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) in alle Beschaffungsprozesse. Ziel ist es, Produkte und Dienstleistungen zu beziehen, die den Bedürfnissen des Unternehmens entsprechen, gleichzeitig aber einen minimalen negativen und einen maximalen positiven Einfluss auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft haben.
Wie hängt der Einkauf mit dem LkSG (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) zusammen?
Das LkSG verpflichtet Unternehmen dazu, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in ihrer Lieferkette zu beachten. Der Einkauf ist direkt verantwortlich für die Umsetzung dieser Pflichten, insbesondere bei der Risikoanalyse, der Implementierung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie dem Beschwerdemanagement bei den direkten und, bei substantiierter Kenntnis, auch bei den indirekten Lieferanten.
Sind nachhaltige Produkte immer teurer?
Nicht zwingend. Während die Anfangsinvestition oder der reine Einkaufspreis in manchen Fällen höher sein kann, führt die Berücksichtigung der Life Cycle Costs (LCC) oft zu Einsparungen. Faktoren wie geringerer Energieverbrauch, längere Haltbarkeit, einfacheres Recycling und vermiedene Risikokosten können die Gesamtkosten senken und die Wirtschaftlichkeit nachhaltiger Beschaffung belegen.
Wie bewerte ich die Nachhaltigkeit meiner Lieferanten objektiv?
Eine objektive Bewertung erfolgt durch eine Kombination von Maßnahmen:
- Selbstauskünfte (SAQ): Standardisierte Fragebögen zu ESG-Leistung.
- Zertifikate und Standards: Anerkannte Industriestandards oder Umweltlabels.
- Externe Ratings: Bewertung durch unabhängige ESG-Ratingagenturen.
- Audits: Vor-Ort-Prüfungen (risikobasiert), um die Einhaltung von Standards zu verifizieren.
Was ist der “Scope 3”-Fußabdruck und warum ist er für den Einkauf relevant?
Der Scope 3-Fußabdruck umfasst alle indirekten Emissionen eines Unternehmens, die nicht aus eigenen Energiequellen (Scope 1) oder eingekaufter Energie (Scope 2) stammen. Die größte Komponente des Scope 3 sind in der Regel die eingekauften Güter und Dienstleistungen. Der Einkauf hat somit den größten direkten Einfluss auf die Reduktion dieser Emissionen durch die Auswahl nachhaltigerer Lieferanten und Materialien.
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